Der Wallenhorster Alexander Strehl ist geimpft und unterstützt die Corona-Politik. Am vergangenen Montag war er trotzdem zur Stelle, als sich Maßnahmenkritiker am Wallenhorster Rathaus zum Protestspaziergang trafen. Was wollte er dort?
Montagabend, 18 Uhr: Vor dem Wallenhorster Rathaus wartet ein Mann im Laternenschein. Nach und nach versammeln sich in seiner Umgebung ein paar Menschen. Sie beäugen ihn mit einem gewissen Argwohn. „Die konnten meine Anwesenheit wohl nicht ganz einordnen”, schildert Strehl, der Mann vorm Rathaus, seinen Eindruck der Situation.
Kein Verständnis, aber den Wunsch, zu verstehen
In einer Telegram-Gruppe hat der 51-Jährige gelesen, dass sich am Montag Kritiker der Corona-Maßnahmen zu einem „Spaziergang” verabredet haben – also zu einer stillen Protestaktion, wie es sie seit Wochen an vielen Orten gibt. Strehl ist geimpft und unterstützt grundsätzlich die Corona-Politik in Deutschland. „Die Pandemie verlangt uns allen viel ab. Natürlich wäre es schöner, wenn wir einfach ohne die Maßnahmen leben können. Aber die haben ja ihren Grund, auch wenn sie nicht immer perfekt sind”, sagt er. Insofern fehle ihm das Verständnis für jene, die aus Protest gegen die Maßnahmen auf die Straße gehen. „Ich würde sie und ihre Beweggründe aber gern verstehen”, sagt er. Deswegen stellte er sich am Montagabend vors Rathaus. Strehl sagt über sich, er habe eine gewisse Antenne dafür, wenn in der Gesellschaft was aus dem Ruder läuft „Ich komme gebürtig aus dem Wendland. Ich weiß, wohin es führt, wenn sich zwischen zwei Lagern die Fronten verhärten.“ In der im nordöstlichen Niedersachsen gelegenen Region haben Protest und Konfrontation eine lange Tradition: Das ungeliebte Atommüllendlager in Gorleben brachte seit den späten 70erJahren die Menschen auf die Straße. Es kam zu Demonstrationen, zu Ausschreitungen, zu zivilem und militantem Ungehorsam. „Da haben sich in der Bevölkerung derart große Gräben aufgetan, dass es kaum noch ein Miteinander gab.”
Da war dieser Moment auf der Gegendemo
Strehl, der seit dem Herbst für die Grünen im Wallenhorster Gemeinderat sitzt, hat klare politische Standpunkte. „Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien gehen für mich zum Beispiel gar nicht, da gibt es dann auch wenig zu diskutieren.” Zwei Punkte also, die häufig in einem Atemzug mit den Corona-Protesten auftauchen: Deren Unterstützer sind mit dem Vorwurf konfrontiert, sich vom rechten Rand instrumentalisieren zu lassen und rechte Positionen und Protagonisten zumindest stillschweigend zu akzeptieren. Der Anmelder der Osnabrücker Corona-Demos erklärte zuletzt, Rechtsextremisten seien Teil des demokratischen Spektrums und auf Demos zu akzeptieren. In den für Osnabrück relevanten Telegram-Gruppen finden sich zahllose Posts und Beiträge, die eindeutig Fake-News und Verschwörungstheorien beinhalten. Das sieht auch Strehl so. „Aber natürlich muss man die Frage stellen, wie repräsentativ das für die Demonstrierenden insgesamt ist.” Er selbst habe die Demos in Osnabrück mal als Beobachter, mal als Teilnehmer der Gegenkundgebung erlebt. „Es gab diesen Moment, wo die Maßnahmengegner vorbeigezogen sind, beide Gruppen sich angeschwiegen und wir ihnen den Rücken zugekehrt haben”, sagt Strehl. „Da war mein Gefühl, wir passieren bald einen Punkt, hinter dem wir später mal nicht mehr zusammenfinden können.”
Wie passen Herzen und Luftballons zur Corona-Politik?
Das Zusammenfinden habe sich dann auch am Montag als nicht so einfach erwiesen. Aber es habe geklappt, zumindest in einigen Fällen. „Mit drei offenkundigen Teilnehmerinnen des Spaziergangs habe ich gesprochen und klar gemacht, welche Positionen ich habe und warum ich hier bin.” Immerhin Zeichen eines Dialoges seien erkennbar gewesen. Es gebe Themen, über die man weiter sprechen könne, resümiert Strehl seine Erfahrungen später auf seiner Facebook-Seite. Unserer Redaktion gegenüber sagt er: „Da ist viel, was ich noch gar nicht so recht einschätzen kann, wofür man vielleicht erst mal ein Gespür entwickeln muss.” Zum Beispiel die Symbolik, die die Spaziergänger hinterlassen hätten. Kerzen, Herzchen, Luftballons, warme Worte mit Kreide gekritzelt. „Das passt vordergründig nicht zu politischem Extremismus. Es hat aber im Grunde ja auch mit den Pandemiemaßnahmen wenig zu tun. Da würde ich gern für mich eine einleuchtende Erklärung finden, welche tieferen Motive dahinterliegen.”
Keine Angst vor einer Konfrontation
Strehl will auch am kommenden Montag wieder vor dem Rathaus stehen und das Gespräch suchen. Sorge vor einer Konfrontation habe er nicht, sagt er. Wohl aber kalkuliere er ein, dass Gespräche auch fruchtlos bleiben können. „Natürlich kann es sein, dass ich da auch auch auf Menschen treffe, mit denen es keine Basis gibt.” Schließlich umfasst die Rhetorik der Spaziergänger nicht nur warme Worte und Liebesgrüße. Auf dem Pflaster vor dem Rathaus hätte schließlich auch schon der Schriftzug „Rattenhaus” geprangt, wie die Gemeindeverwaltung mitteilt. „Das ist ein Begriff, wo ich klar sage, dass er nicht geht, weil er die Menschen beleidigt, die im Rathaus arbeiten oder sich ehrenamtlich für die Gemeinde einsetzen”, sagt Strehl. „Trotzdem muss man einen Dialog versuchen. Das zeichnet schließlich eine vielfältige, demokratische und meinungsstarke Gesellschaft aus.”
Zitiert aus der NOZ Online 23.01.22, Autor M. Pöhlking