Fuhr man bisher vom Gruthügel kommend in Richtung Rulle, traf man am Ortsrand auf eine idyllische Eingangssituation. Dort, wo die Straße die Nette kreuzt, grenzte beidseits der Straße auf ca. 200 m ein schöner Buchenwald an. Die alten Bäume am Straßenrand überwucherten mit ihren Kronen zum Teil die Straße und bildeten eine Allee, die insbesondere im Sommer angenehmen Schatten und Kühle spendete.
Dies hat sich jetzt geändert, denn mitten im Hochsommer rückte schweres Gerät an, um fünfundfünfzig, am Straßenrand stehenden Bäume – meist stattliche Buchen – zu entfernen. Die Baumfällaktion wurde im Auftrag des Landesforstamtes Ankum durchgeführt. Viele Ruller Bürgerinnen und Bürger zeigten sich entsetzt und der Ortsverband von „Bündnis90/Die Grünen“ stellte zurecht die Frage, ob diese Aktion denn angemessen ist.
Auf Nachfrage teilte das Forstamt mit, man hätte das Waldgebiet der Gemeinde zum Kauf angeboten, die lehnte aber dankend ab. So sei man nun für die Verkehrssicherheit in diesem Straßenabschnitt verantwortlich. Die Rechtslage ist hier eindeutig. Besitzer von Bäumen haften für Sach- oder Personenschäden, die durch umfallende Bäume oder herabfallende Äste verursacht werden. Dies gilt im privaten wie im öffentlichen Bereich. Im Hinblick auf Bäume und Verkehr ist aber darauf hinzuweisen, daß Menschen (und ihre Autos) im Straßenverkehr zu Schaden kommen, weil sie gegen Bäume fahren – und kaum, weil Bäume oder Teile von ihnen auf sie fallen. Das zeigen die Statistiken eindeutig. Aber die große Angst, haftbar für ein seltenes, eher theoretisches Schadensereignis gemacht zu werden, treibt die öffentlichen Verwaltungen zu solch vollkommen überzogenen Fällaktionen, wie wir sie jetzt erleben mussten.
Das Forstamt argumentiert, dass durch Trockenschäden und anschließendem Pilzbefall die Verkehrssicherheit bzw. Standfestigkeit der Bäume gefährdet sei und deshalb gehandelt werden musste. Ich habe mir während der Fällarbeiten die Bäume angesehen. Einige Buchen wiesen vereinzelt abgestorbene Äste in der Baumkrone sowie Fäulnis im Stammbereich auf. Viele Buchen zeigten aber keine erkennbaren Schäden und machten einen gesunden Eindruck, was sich auch nach dem Fällen bei Betrachtung des Stammquerschnittes zeigte. Sowohl der Revierförster als auch der Amtsleiter bestätigten dies auf Nachfrage und verwiesen darauf, dass diese Bäume dann eben in den nächsten Jahren hätten beseitigt werden müssen. Insgesamt sei man aber „mit dieser Maßnahme nicht glücklich“ und bezeichnet sie als grenzwertig.
Aber wo sind die Grenzen? Würde man die Maßstäbe des Forstamtes zugrunde legen, müsste im Gemeindegebiet an vielen Stellen in ähnlicher Weise gehandelt werden, z.B. im Nettetal. Das kann niemand ernsthaft wollen.
Umweltschützern kann man freilich entgegenhalten, dass durch die Beseitigung der Bäume ein neuer Aufwuchs möglich ist. Das Forstamt plant zusätzlich die Anpflanzung von 200 Sträuchern. So kann eine neue oder vielfältigere Biodiversität an diesem Standort entstehen als bisher. Klimaschützern sei gesagt, dass die Bäume ausgewachsen waren und keine nennenswerten Mengen an Kohlendioxid mehr in ihrem Holz speichern. Wird das Holz für die Möbelindustrie verwendet – was geplant ist – bleibt der Kohlenstoff für Jahrhunderte gespeichert, während neuer Aufwuchs an dieser Stelle auch wieder neuen zusätzlichen Kohlenstoff bindet.
So hat eben alles seine zwei Seiten. Trotzdem: Bäume steigern unser Wohlbefinden und sind Balsam für die Seele. Deshalb hat mich diese rabiate, aus meiner Sicht überzogene Abholzung genauso entsetzt, wie viele Bürgerinnen und Bürger. Der Vorgang ist aber ein Bespiel dafür, dass in unserem Land im Kleinen vieles hervorragend (über)reguliert ist, und dadurch die Behörden einem ständigen Handlungsdruck ausgesetzt sind, weil sie sonst die potentiellen Folgen verantworten müssen. Man wünscht sich, dass dies im Umgang mit der Klimakrise auch für die Politik gilt und ähnlich konsequent gehandelt würde.
Prof. Dr. Christian Neubauer